Die Wildente

Henrik Ibsen
Deutsch von Heiner Gimmler

Residenztheater München
10. Oktober 1993

Inszenierung: Thomas Reichert
Bühnenbild: Nina Ritter
Kostüme: Klaus Bruns
Musik: Rudolf Gregor Knabl
Dramaturgie: Daniel Philippen

Direktor Werle, Grubenbesitzer: Horst Sachtleben
Gregers Werle, sein Sohn: Andreas Wimberger
Der Alte Ekdal: Kurt Meisel
Hjalmar Ekdal, Photograph: Oliver Stokowski
Gina Ekdal, HjalmarsFrau: Eva Riek
Hedvig Ekdal, ihre Tochter: Natali Seelig
Frau Sorby, Hausdame: Esther Hausmann
Relling, Arzt: Alfred Kleinheinz
Molvik, ehernaliger Theologe: Fred Stillkrauth
Pettersen, Diener des Direktors: Alfred Cerny
Lohndiener Jensen: Götz Otto
Ein junger Herr: Timo Dierkes
Ein alter Herr: Heini Göbel

Foto: Erika Fernschild
 

Aufführungsrechte beim Verlag der Autoren Frankfurt am Main
 

Kritiken
C. Bernd Sucher 1993
Nach den Wilden – nach Matthias Hartmanns widerspenstiger, amüsanter und leichter Shakespeare-Deutung, nach Amelie Niermeyers rabiater, lächerlicher Marivaux-Variation, die den Titel tragen könnte: „Meine Freunde aus dem Dschungel" – schickt der bayerische Staatsintendant Eberhard Witt jetzt die älteren Regisseure ins erste Schaulaufen: Thomas Reichert und, am nächsten Sonntag, Matthias Fontheim. 
Reichert ist ein Spielleiter, dem Einfälle noch nie als Konzepte genügten; einer, der genau liest, genau hinsieht und die Geschichte, die er auf der Bühne erzählt, nicht schon von vornherein mit seiner Sicht belastet. Natürlich lassen sich solche Theaterabende arrogant abtun als lebendiges Reclamheft. Doch wer behauptet, all das, was Thomas Reichert in Ibsens „Wildente" entdeckte, bereits bei der Lektüre gesehen zu haben, macht sich bloß wichtig.
Gewiß fehlt dieser Inszenierung eine starke Meinung zu den Menschen, die sich belügen und nach Wahrheit fahnden. Gewiß hat Reichert nichts unternommen, aus ihnen Zeitgenossen zu machen, weshalb es die aktuellen Aperçus nicht gibt. Aber gleichgültig bleiben die Ibsenschen Figuren den Zuschauern deshalb nicht. Denn Reichert entwickelt in aller Ruhe vorsichtig das Geschehen und die Charaktere. Er schafft es, nach einem eher müden ersten Akt, unsere wache Aufmerksamkeit zu gewinnen, Neugier für eine sehr unprätentiöse, sehr genaue Arbeit. Warum der Anfang so fade spannungsarm blieb, ist leicht erklärt . . .

Bayerischer Rundfunk/ Kultur Aktuell / Barbara Bogen
Die "Wildente" ist ein Stück über das Blindsein. Ein Stück über Blinde. Und es sind merkwürdige Blinde, solche nämlich, denen, ermöglichte ihnen ein chirurgischer Eingriff das Sehen, der heillose Schreck in die Glieder fahren würde, und die nur das Alte wollten; das Gewohnte, das sanft dämmernde Dunkel. Das Blindsein ist bei Hendrik Ibsen zum Synonym für Lüge geworden, "Nimm einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge und du nimmst ihm sein Glück läßt der Autor den Arzt Relling sagen: Und das führt er dann vor: Hedwig, die Tochter und Besitzerin der Wildente, ist buchstäblich im Begriff, blind zu werden, ebenso ihr Vater, Direktor, von dem nur zwei wissen, daß er ihr Vater ist. Gina, die Mutter, die Wahrheitsbeschönigerin, ist eine blasse Meisterin in der Kunst des Retuschierens; die sie dann auch beruflich betreibt, der alte Ekdal reibt sich die Augen.
Frau Sorby, die Geliebte des Direktors spielt mit den anderen "Blindekuh". Hjalmar ist der Erste aus dem Hause der Lebenslüger. Die Lüge verleibt er sich ein, wie wir später erfahren, weil er vor lauter Selbstverachtung und Selbstzweifel wohl sonst schon längst den Verstand verloren hätte. Da Ekdal nicht sieht, nicht richtig hinsieht, zeigt Regisseur Thomas Reichert dann auch schon in seiner Auftrittsszene . . .