Neue Heimat. Graz. Theatermacher.
Von 2000 bis 2004 habe ich bei Matthias Fontheim, inzwischen Schauspieldirektor in Graz inszeniert, nachdem wir uns in Freiburg kennen gelernt hatten und später in Hannover und München in den Leitungsteams zusammenarbeiteten.
Theatermacher mit Otto David in der Titelrolle. Otto wurde für mich etwas ganz Besonderes und ich konnte mir eigentlich kein Stück in Graz ohne ihn vorstellen. Mit dem Theatermacher wollte ich auch meine Rolle in diesem Gewerbe überprüfen und da kam mir Thomas Bernhards Stück über Glanz und Elend, Sehnsucht und Wirklichkeit und sein notwendig größenwahnsinniger Anspruch gerade recht.
King Kongs Töchter und Kleine Zweifel von Theresia Walser
Mit Monique Schwitter und erstmals auf der Bühne Martin Bretschneider. Er spielte die Figur des Rolfi, bezaubernd. Wie schon beim Theatermacher hab ich auch das Bühnenbild gemacht.
Auf der Bühne die Versuchsanordnung. Eine verschworene Gesellschaft aus Pflegerinnen und Alten spielen den Ernstfall unerbittlich durch, schenken sich nichts, sind trunken vor Anstrengung – nüchtern kann man das Problem Sterbehilfe wohl nicht zuende denken. Ein Text, der auf einem Vulkan tanzt, der täglich gewaltiger wird.
Wie gehe ich mit dem Alter um, wie kann man sich mit Anstand verabschieden ... Eltern, zum Beispiel, wie bleiben sie in meinen Augen voll und kräftig, die ersten Helden eines Kindes, wie behalten sie ihre Würde. Was ist zu tun, damit sie nicht in die Matratze sickern. Und die Alten, jeder allein in dem Grauen, was stirbt da Alles ab. Der Blick in den Spiegel, an sich hinunter, was sollen all diese Gliedmaße, was haben sie alles getan, was haben sie alles versäumt.
Zuvor hatte ich zusammen mit Daniela Kranz den großartigen ersten Theatertext von Theresia Walser inszeniert und ausgestattet. „Kleine Zweifel“ mit Regina Schweighofer als Wendla Teusch
Goethes Iphigenie
2001. In einem Bühnenbild von mir, einem Raum am Rande der Unendlichkeit. Wieder mit Monique Schwitter und Martin Bretschneider als Iphigenie und Orest. Kostüme Rike Russig, Musik Matthias Thurow. ...Schönheit oder Intelligenz, ein deutscher Gegensatz, aber die Interpretation von Iphigenie hat darunter immer gelitten.
Ich denke, das mit der Schönheit hat sich so ziemlich erledigt, wenn man den Kritikern trauen darf in ihrer Beurteilung des Sprechens von gebundener Sprache am Theater. Nun, wir haben sicher viel vergessen von der Tradition, wie man solche Verse spricht, aber viel haben wir auch zu recht vergessen. Es ist eine neue, unserer Zeit um adäquate Formen zu finden, wie man Goethes großartigen Versen gerecht wird. Und ich meine, das der Schlüssel heute wesentlich im radikal geformtem Rhythmus zu suchen ist, in schnellen Tempi, in harten Tempowechseln, gewonnen aus dem Widerstreit von Inhalt und Form. Größtmögliche Transparenz bei oftmals ganz hartem Beat oder weichsten Balladentönen; Pausen.
Wie dünn liegt Kultur und Barbarei beieinander. Wir wissen es heute, nicht mal mehr ein Blatt Papier ist dazwischen, nur mehr ein Mouse-Click. Und Goethes Sprache – der sogenannte Wohlklang seiner Verse – sind Einlassung, sind Kampf gegen das bösartige Chaos, das Grauen der menschlichen Natur, die Willkür der Götter.
Die wütende Verständnislosigkeit über den „Schuldzusammenhang alles Lebendigen“ (W.Benjamin)
Bis aufs äußerste knapp unter Goethes Versen gibt es kein Halten mehr. In ihnen hat es die zitternde Schönheit des weiten Blicks, den man genießen kann, wenn man mitten im Lager von Buchenwald nahe Weimar steht. Dianens Hain, ein dünner Ort am Rande der Unendlichkeit. Dort kämpft Iphigenie mit ihrer Liebe zur Wahrheit – vielleicht ihr Erbteil seit sie nach Aulis gelockt wurde – entscheidet sie sich den gefährlichsten Weg zu gehen. Die, von so vielen Interpreten geschmähte Tat Iphigenies, sich und ‚ihr Volk’ Thoas auszuliefern mit der Preisgabe der Verschwörung, ist ihre große Tat – sie steht mit größtmöglichem Risiko zu ihrer Überzeugung wie der Held in fast jeder guten Geschichte. Human wird sie erst in dem Augenblick, in dem Humanität nicht länger auf sich und ihrem höheren Recht beharrt.
Nathan der Weise
Lessings kleines Welttheater, großes Volkstheater um die Katastrophen seiner Zeit, die in vielem noch und immer mehr die Katastrophen unser Zeit sind. Mit Otto David als Nathan, Martina Stilp, wieder Martin Bretschneider und für mich neu, eine tolle Begegnung, Barbara Hammer als Daja, die dem Stück mit ihrer Person das wesentliche Zentrum gab. Bühne von mir, Kostüme Gabi Mai und Musik Matthias Thurow.
Über dieses Stück von Lessing ließe es sich stundenlang erzählen, ich will versuchen mich auf ein paar, mir wesentliche Punkte zu konzentrieren. Auf diesen bitteren und gleichzeitig humorvollen Aufriss, auf diese Herausforderung der Extraklasse, Lessings Wut und Lessings Lachen als Chance in die größer werdenden Risse der Welt hineinzufallen.
Dieser wunderbar fein ziselierte Nagel, eingeschlagen in Fleisch und Blut, in das Chaos des Leidens, in schier unendlichen Tod.
Das Stück spielt in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge. Unter den Brettern die die Welt bedeuten lauern die Toten und schreien nach Rache. Der Tanz der Toten, der immer wieder die Lebenden in ihren Reigen zwingt. Die Aufgabe jeder Kultur diese Macht zu brechen, oder vielleicht besser, in friedliche Bahnen zu lenken.
Die Bilder der Toten, Nathans, des Tempelherrn, Saladins usw., sind eingebrannt in ihre Gehirne und fressen sich langsam aber stetig in ihre Seelen. Dort würden sie haften bleiben und das tun sie auch bei allzu vielen Menschen und nicht selten ein Leben lang und länger, werden als Vermächtnis weitergegeben.
Die Toten haben keinen Ruheplatz in ihren Herzen gefunden. So geistern sie durch die Körper auf der Suche nach Orten, von denen aus sie die Lebenden bestimmen, anführen können. Das kann der Kopf, die Gedanken, das Sprachzentrum ebenso sein wie die Faust, das Auge, der Ellenbogen. Scheint der Lebende sie an einem Ort ihrer Macht besiegt zu haben, sind sie leicht schon an einem anderen und richten von dort großen Schaden an, bevor wir sie vielleicht dann dort lokalisieren. So wird es bleiben bis wir sie zur Gänze erkannt und ihnen einen Ruheplatz in unserem Herzen zugewiesen haben.
Saladin mordet prinzipiell alle Tempelherrn, die ihm unter die Finger kommen; da lässt er einen leben, ganz sentimental, weil er ihn an seinen verschwundenen Bruder erinnert, und hat das sogleich wieder vergessen. Nathan erinnert ihn wieder an diesen Menschen und er ist gezwungen nun endlich doch einmal, diese Geschichte des verschwundenen, toten Bruders zu formulieren, anzunehmen und in Person des Tempelherrn mit allen seinen Seiten, den guten wie den schlechten, zu erkennen.
Die Figuren in diesem Stück versuchen viel um ihr Handeln nicht von Vorurteilen – von den Toten her – bestimmen zu lassen, da sie diese aber oft noch nicht wirklich überwunden haben, noch nicht mal ihre Existenz kennen, finden die Toten den Weg in ihr Herz nur allzu oft.
Ob wir unser Ohr an diesen möglichen Katastrophen haben, also den Mut zum heiligen und heilenden Schrecken, zum befreienden Lachen, wird über die Schönheit einer Aufführung entscheiden.
Der Schein trügt
Mein drittes Stück von Bernhard, ich hatte 1980 am Bremer Theater „Vor dem Ruhestand“ inszeniert, das rhythmisch für mich am radikalsten gebaute Stück von ihm. Und ich habe schon damals eine Hassliebe zu diesem Autor entwickelt. Immer wenn man mich aufforderte ein Stück von ihm zu machen, habe ich erst mal abgesagt. „Theatermacher“ sollte ich schon mal in Zürich machen. Anfangs geht mir dieses unendliche Gequatsche immer unendlich auf die Nerven, aber, wenn ich dann mal am arbeiten bin, faszinieren mich Bernards Wortkaskaden immer und immer mehr.
Trotzdem, jedes Mal stelle ich mir die Frage neu: Sind diese Vernichtungs- und Selbstvernichtungsorgien von Bernhard produktiv und besonders jetzt, wo er so völlig zum unwidersprochenen Klassiker gemacht wurde. Taugt er überhaupt, wenn das Vergnügen der Provokation wegfällt. Ist der Narr zum Opa geworden wie sein wichtigster Regisseur, der große Clown, an dem nur mehr die Pappnase rot ist.
Natürlich, Bernhards Wortschöpfungen sind oft vergnüglich, die Radikalität seiner Formulierungen großartig. Aber in unserer Zeit, wo das alte Mitteleuropa seine geschützte Position zwischen den Blöcken verloren hat und immer unerbittlicher in die Kälte der internationalen Kapital/ Machtverhältnisse hineingehalten wird, das antiautoritäre Kind mit reichen Eltern, natürlich krank, natürlich vom Wehrdienst befreit, muss plötzlich Haltung zeigen, den Kopf hinhalten – sind da nicht Bernhards schönste Orgien der sich im Schmerz windenden Körperköpfe nur mehr geschmacklos, nur mehr witzig. Obszöne Nabelschau.
Natürlich Theaterfutter, haben diese Texte doch schon viele, sogenannte große Schauspieler ihr Handwerk vorführen lassen zur Mehrung ihres Ruhmes und Bernhards. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Nur die sog. Skandale gaben diesen Stücken den Schein der Moderne, dahinter teuerst ausgestattetes braves Staatstheater, unbehelligtes Schlafen im Zuschauerraum einerseits, theatralischste Empörung andererseits, aber warum sollten ausgerechnet das Publikum, besser die Kritiker, die einzigen sein, die bei diesen Veranstaltungen sich uneitel geben.
Oder ist Bernhard doch Becketts Erbe. Liegt hinter den äußerlichen Schrecken, den Skandalen, die ihn erst mal berühmt machen mussten, der wahre Schrecken: „Wir können die Welt nur verbessern wenn wir sie abschaffen“ und die Formulierung als einzige Utopie.
Handelt es sich bei Bernhard vielleicht doch um eine besondere, eine österreichisch-süddeutsche Spielart der Kritik an unseren Wertvorstellungen, der unabdingbaren Verlogenheit unseres täglichen Tuns. So spezifisch krass in dieser Landschaft, die so besonders gesegnet ist mit Naturschönem und Kunstschönen. Und in Bernhards so unendlichen kleinem Reden, Reden, Reden zeigt sich vielleicht am radikalsten, das alles Sehnen nach Werten, nach objektiven Werten, jede Standortbestimmung, jedes Glücksversprechen korrumpiert wird, schon korrumpiert ist, schon beim Formulieren ins Grauen umschlägt, wenn dahinter das Kalkül zum Vorschein kommt.
Ich meine damit, in unserer Gesellschaft ist doch alles verfemt, was sich nicht rechnet. Gleichzeitig geht alle Sehnsucht nach dem, was sich nicht rechnet, zum Beispiel nach bedingungsloser Liebe oder nach Hingabe an eine Tätigkeit unabhängig von der Gratifikation, nach sportlichen und geistigen Leistungen, die keinem Kalkül unterworfen sind, nach zweckfreiem Dösen und Faulenzen oder auch nach grenzenlosem Luxus und rücksichtsloser Verschwendung. Alle diese Sehnsüchte werden enttäuscht, wenn sich ihre Erfüllung als verkapptes Geschäftsgebaren erweist, wenn also doch alles wieder einem Kalkül zugrunde liegt. Der Kapitalismus, der seinem Selbstverständnis zufolge angetreten ist, der größtmöglichen Zahl der Menschen das größtmögliche Glück zu ermöglichen, beeinträchtigt und beschädigt dieses Glück fortwährend, weil es ihm nicht gelingt, dass Kalkül, das dahintersteckt, unsichtbar zu machen.
Bernhard ist vielleicht der radikale Sichtbarmacher dieser Katastrophe. In Bernhards Monolog kann es also keinen Punkt geben, denn keine Behauptung hält länger als ihre Formulierung dauert. Karl und Robert. Die Zeit hat sie totgeschlagen, jetzt schlagen sie die Zeit tot. Einsam, von Gott und der Welt verlassen, spüren sie sich nur mehr an ihrem Absterben. Und ihr Reden bunte Schreie um die Buh-Rufe der Gesellschaft nicht mehr hören zu müssen.
Lumpazivagabundus
Und das in Graz, der Stadt, die sich so gern mit ihrem Nestroy schmückt. Ein nicht einfaches Unterfangen, zumal ich die drei berühmten Rollen der Handwerker mit jungen Schauspielern besetzte. Martin Bretschneider, Alexander Weise, Sebastian Reiss. Ich folgte dem Alter Nestroys, als er das Stück schrieb und spielte, nicht der Aufführungstradition, bei der immer die Altkomiker die Rollen ‚Knieriem’ und ‚Zwirn’ beanspruchen. Aber natürlich, Otto David durfte nicht fehlen, er spielte den Tischler Hobelmann.
Für mich war entscheidend endlich einmal zu zeigen, das Nestroy auf der Bühne sichtbar und nicht nur bei Karl Kraus und anderen Verfechtern nachzulesen, ein richtig guter Autor ist. Ich wollte das schon seit meiner Schauspielschulzeit machen, aber bei all den Aufführungen, die ich zu Gesicht bekam, wirkte letztendlich doch alles immer so läppisch. Aber dann, in Graz, wusste ich: bei Nestroy gibt es nicht diese dummen Figuren die in noch dümmere Situationen tapsen. Nestroy liebt die Menschen und findet bescheuert, hasst fast alles was sie tun. Das ist erst mal die Vorraussetzung. Es wurde eine richtig gute Arbeit. Für die großartige Musik war Matthias Thurow verantwortlich, der auch die wunderbaren Töne zu Iphigenie komponiert hatte. Thomas Limpinsel hat sich der Couplettexte angenommen und Martin Bretschneider hat manchmal bei Vorstellungen seine Texte auf den Punkt neu erfunden.